Emilie Goldbergers Briefe
Ob Emilie Goldberger am Ende ihres Lebens über Vermögen verfügte, wer sie betreut hatte und was sich in ihrem Besitz befand, ist bislang noch nicht bekannt. Nach ihrer Deportation aus dem Jüdischen Altersheim Seegasse 9 ins Ghetto Theresienstadt ließ die NS-Behörde ihre Wohnung räumen und plünderte ihren Besitz. Diesen sowie noch Fotos und Abbildungen von ihr zu finden, wäre großartig. Bis heute wissen wir leider nicht, wie Emilie Goldberger ausgesehen hat. Was wir wissen: Sie hatte eine wunderschöne Handschrift.
Aus ihrer Feder haben sich zwei wertvolle Briefe erhalten, die ich hier erstmals in Gänze vorstelle. Der erste Brief, den ich einsehen konnte, ist der sogenannte Ibach-Brief im Archiv der ehemaligen Klavierbaufirma Ibach, den mir die Ibach-Nachfahrin Sabine Falke freundlicherweise als Scan zur Verfügung stellte. In diesem Brief bewarb sich Emilie Goldberger am 12. November 1930 bei Fa. Ibach um die Stelle einer Vorführ-Pianistin auch für Film- bzw. Werbeaufnahmen. Walter Ibach war in einem ihrer Pariser Konzerte gewesen und empfahl sie seinem Bruder Rudolf damals als auch 1910 für eine Anstellung, was sie wegen Arbeit am Stern’schen Konservatorium in Berlin nicht annehmen konnte. Zu dieser Anstellung habe ich nachgeforscht, konnte aber bislang keine Anstellung nachweisen. Die Arbeit mit historischen Berliner Zeitungen gestaltet sich überaus schwierig: Ein großer Bestand liegt mittlerweile zwar digitalisiert vor, wird aber nicht zugänglich gemacht.
Aus dem Archiv der Klavierfirma Ibach
[recto]
Purkersdorf am 12. Nov. 1930.
Sehr geehrter Herr Ibach!
Ich will voraussetzen, daß Sie von
den verschiedenen Catastrophen-Zuständen
nichts verspürt haben, die sich in
der Nachkriegszeit einstellten
und Herr Ibach sich auch des besten
Wohlseins erfreuen. Auf
meinen Namen werden Sie sich wohl
auch noch erinnen: Emilie
Goldberger Pianistin [drübergequetscht], vor X. X. Jahren,
als ich noch sehr jung war, war
ich mit meinen Eltern in Paris und
auch Herr Ibach: im Jahre 1910 hatten
Sie die Güte, mich in Berlin anzu=
empfehlen, wegen meiner Stellung
[verso]
am Stern’schen Conservatorium leider
kon̅te ich darauf nicht eingehen wegen der
Unsicherheit der Existenz-Möglichkeit.
Als ich dann []ster gleich nach dem Krieg
auf Ihren gefälligen Rath an die Philips-
Instrumenten Werke nach Frankfurt schrieb
bekam ich die Antwort, daß es nicht gestattet
war zu der Zeit, solche die nicht Reichs-
deutsche waren, zu einer Verdienst-
Möglichkeit in Deutschland heranzuziehen
Nun scheint es mir, als hätte man
dort schon diesen Standpunkt schon
aufgegeben. Bei uns war dieser
nie; da kön̅en alle möglichen östlichen,
westlichen, südlichen, überseeischen Leute
lustig darauf losconcertiren. –
Bei uns, für uns Österreicher sind jetzt
die Zeiten verflixt schlecht!
Ich merke auch, daß ich dagegen
auch meiner musikalischen Fähigkeit
[recto]
mich zuwenden müßte, welche bis wen̅
nicht ganz, den von mir eingehaltenen
künstlerischen Ziehen entsprochen hätte,
indem ich mich darum bewerben
möchte, für den musikalischen
Theil der Tonfilmaufnahmen
guter Filme von Operetten od. Opern
engagirt zu werden. In die
Filmwelt reichen gar keine Fäden
meines Bekanntenkreises, ich
wohnen außerhalb Wiens, wo da ich
den Contakt mit allem Neuen
überhaupt schwer herzustellen
ist und wende mich deshalb
an Herrn Ibach, die Güte zu
haben mir durch eine Empfehlung
von Ihnen und Ihrer bewährten
[verso]
Firma an eine Ton-Filmgesellschaft deren
Tätigkeit nach Österreich und auch
nach Wien zeigt zu empfehlen.
Berlin ist ja der Sitz von Filmgesell-
schaften, ich glaube einmal gelesen
zu haben daß auch Max Reinhardt
in irgend einer Zusammenarbeit
mit solch einer Ges.schaft.
Übrigens steht ja Reisen nach Deutschland
zu Filmaufnahmen bei entsprechender
Bezahlung auch nicht ausser
Möglichkeit und würde mich auch
sehr freuen, bei den betreffenden
Anlässen auf Ihren vorzüglichen
Instrumenten spielen zu können.
Indem ich mich Ihnen freundlichst
empfehle verbleibe ich
aufs Hochachtungsvollste
Emilie Goldberger
Klaviervirtuosin
Purkersdorf
Wienerstraße
No 45, bei Wien.
Aus dem Frankfurter Senckenberg-Archiv
Emilie Goldberger scheint bis ins hohe Alter interessiert an neuer Filmtechnik zu sein und hat den Film als bedeutenden Werbeträger erkannt. Der zweite bekannte Brief Emilie Goldbergers befindet sich im Senckenberg-Archiv der Stadt Frankfurt am Main, Signatur Mus. Autogr. G. Barth C 041. Darin bittet sie den Komponisten, Pianisten und Chorleiter Gustav Barth (1811–1897), auf sie und ihre Kunst in Frankfurter Zeitungen und Magazinen aufmerksam zu machen:
Nr. [?] [W.?] 23. ers. 6.2.80 Paris den 5/2 1880
mit Rezension u. Program.
Hochgeehrter Herr Professor!
Sie werden gewiß Herr
Professor bei Empfang dieses, sehr
erstaunt sein, von mir einen Brief
zu erhalten. Allein, nur Ihre
Liebenswürdigkeit ist daran Schuld,
daß Sie jetzt von mir belästigt
werden. Vor meiner Abreise von
Frankfurt a/M. hatten Sie die Güte
mir zu sagen, daß, falls ich in
Paris öffentlich spiele, ich Ihnen
hierüber etwas einsende, Herr
Professor so gütig sein werden,
auch in deutschen Zeitungen etwas
./. ./.
darüber zu schreiben.
Nun habe ich vor 8 Tagen, am
28. Jänner hier in Paris im Saale
Erard, zum ersten Male ein
Concert gegeben, sehr guten künst=
lerischen Erfolg gehabt und nehme
mir die Erlaubniß, Ihnen davon
ein Program u. Recension der „
Gazette musicale“ zu senden und
Sie sehr zu bitten, es im Frankfurter
Journale u. anderen Blättern die
Sie Herr Professor, als möglich für mich
machten bekanntgeben zu wollen.
Ich danke vielmals Herrn
Professor und indem ich hoffe, daß
ich bald in Deutschland Sie begrüßen,
und meinen Dank persönlich werde
abstatten können, bin ich
mit vorzüglicher Hochachtung
Ihre ergebene
Emilie Goldberger
11 rue de Chabrol 11
Viele Empfehlungen
von meinen lieben
Ältern.
Sie wusste also, wie sie sich zu vermarkten hatte. Dank dieses Briefs wissen wir nun auch, dass sie in Paris in der rue de Chabrol 11 gewohnt hat, nicht weit vom Gare du Nord. Dort kann man auch noch heute übernachten. Ob Lucien und Marinette wissen, wer bei ihnen damals gelebt hat? Ob es dort noch historische Gästebücher gibt? Jedenfalls war es berührend, den Brief, den Emilie Goldberger so hoffnungsfroh geschrieben hatte, anfassen zu dürfen. Letzte Relikte eines Lebens.