Familienkonstellationen

Familienkonstellationen

Im Zuge meiner Forschungen zu Emilie Goldbergers musikalischem Lebensweg sind viele neue Details aufgekommen, die ihre Familie betreffen bzw. einzelne Familienmitglieder, die zwar bereits bekannt waren, aber erst jetzt in einen Zusammenhang zu wiederaufgefundenen Familienkonstellationen mit ihr gebracht werden konnten. Diese weitere Detektivarbeit ist besonders Bernd-Christoph Kämper, Bibliothekar in Stuttgart, zu verdanken, der von meiner Goldberger-Forschung angesteckt wurde und auf eigene Faust mit seinen exzellenten Kenntnissen diverser Such- und Findemaschinen weiterrecherchierte.

Bertha Haft

So konnte er die lange verschollenen Lebensdaten von Emilie Goldbergers Cousine Bertha Haft (1857–1931) und Familienzusammenhänge rekonstruieren – Bertha Hafts Lexikonartikel (Autor: Volker Timmermann) im Sophie Drinker Institut muss damit noch aktualisiert werden.

Neu aufgefundenen Quellen nach wurde sie am 6. November 1857 in Kremsier/Kroměříž geboren, heiratete am 1. Juni 1880 den Pianisten Ludwig/Ludovic Löblsohn Breitner – mit unter anderem Ludwig Bösendorfer als Trauzeuge[1] – und starb am 21. Juni 1931 in ihrer Pariser Wohnung in der rue de l’Église 38.[2] Die gemeinsame Tochter Marguerite Renée wurde am 24. Januar 1891 geboren,[3] gehörte dem von Ginette Martenot geleiteten Ensemble Les Ondes Martenot für elektronische Musik an[4] und war als Pianistin und Komponistin[5] tätig. Sie starb am 3. September 1973.[6] Das Ehepaar Haft-Breitner hatte zusammen zwei Töchter und zwei Söhne,[7] worunter die andere Tochter – Adrienne – Schauspielerin[8] wurde. Nachforschungen ergaben weitere bedeutende Netzwerke, die vertiefende Recherchearbeit lohnen werden.[9]

Ensemble Les Ondes Martenot
Ensemble „Les Ondes Martenot“ mit Ginette Martenot als Leiterin und Marguerite Renée Breitner (vierte von rechts) © Peter Asimov, Screenshot

Bertha Haft ist mir bereits früher zu meinen Forschungen zur Augsburger Theatergeschichte untergekommen. Sie tourte zusammen mit der Sängerin Aglaja (von) Orgeni (1841–1926) und der Pianistin und Komponistin Luise Adolpha Le Beau (1850–1927, ebenfalls Schülerin Clara Schumanns) 1877 durch Bayern. Von Letzterer existieren die Lebenserinnerungen einer Komponistin[10] – eines der so seltenen Selbstzeugnisse von Komponistinnen des 19. Jahrhunderts generell. Darin beschreibt sie auch ihr Augsburger Konzert im noch alten Stadttheater am Lauterlech bzw. die Vorbereitungen dazu backstage, gibt aber keine weiteren Daten dazu an.

Über Augsburger Tageszeitungen dieser Zeit konnte ich Montag den 9. April 1877 dafür festmachen.[11] Am Freitag den 13. April 1877 erschien eine Kritik, in der (von) Orgeni und Haft sehr gelobt wurden und Luise Adolpha Le Beau zwar als „wackere Pianistin“ wahrgenommen wurde, aber ohne durch besonders hervorragende Leistungen „zu excilliren. Man war freundlich genug, sie neben ihren beiden Begleiterinnen gelten zu lassen.“[12] Dieses Konzert in Augsburg ist dennoch bedeutend, denn es war das allerletzte Konzert im alten Stadttheater, bevor dieses im Spätsommer 1877 für immer geschlossen wurde. Über Bertha Haft schrieb Luise Adolpha Le Beau nicht gerade schmeichelhaft: „Sie war ein begabtes, aber sehr unruhiges Geschöpf, das auch sonst vielen Lärm machte.“[13]

Ein Bruder, Samuel

Aus der Todesanzeige von Emilie Goldbergers Mutter Chaje/Anna Goldberger geb. Haft (s. Timeline) geht hervor, dass es zu diesem Zeitpunkt (Juli 1887) keine weiteren lebenden Geschwister Emilies gegeben hat. Emilie hatte aber einen kleinen Bruder – Samuel (1857  bis 4. Juli 1863) –, der in Wien in der Unteren Viaduktgasse 5 an „Auszehrung“ starb.[14] Über die Funktion dieses Hauses liegen keine weiteren Informationen vor. Nebenan in Haus-Nr. 13 befand sich bis 1938 die Vereinssynagoge des Tempelvereins Landstraße Beth Hachneseth.[15] Vielleicht war Haus Nr. 5 ein zugehöriges Spital?

Einzelnachweise
[1] Matriken der Israelitischen Kultusgemeinde, 1784–1911, Wiener Stadt- und Landesarchiv, Mikrofilm (online, abgerufen am 17. Juni 2024).
[2] État Civil, Archives de Paris, Paris 15eme, Décès, 2930/1931, p. 312/576 (online, abgerufen am 17. Juni 2024).
[3] France, Index des décès enregistrés par l’Insee, 1970–2022 (online, abgerufen am 17. Juni 2024).
[4] Peter Asimov: Une invention, essentiellement française: seeing and hearing the Ondes Martenot in 1937, in: Florence Gétreau/Marc Battier (Hrsg.): musique. images. instruments. Revue française d’organologie et d’iconographie musicale, Nr. 17, Paris (CNRS Editions) 2019, S. 107–126 (online, abgerufen am 17. Juni 2024). Darin finden sich auf S. 110 und 111 Fotos des Ensembles, darunter Marguerite Renée Breitner jeweils die Vierte von rechts.
[5] Excelsior: Journal illustré quotidien: information, litérature, sciences, arts, sports, théâtre, élégances, 20. März 1911, S. 6.
[6] openarchives (online, abgerufen am 17. Juni 2024).
[7] The Musical Courier, Nr. 24, 13. Dezember 1899, S. 9. Zu diesem Zeitpunkt lebte das Ehepaar Haft-Breitner in Paris in der Rue Daubigny 5.
[8] L’Initiaion. Revue philosophique des Hautes Études, 87 vol., Nr. 9, Juni 1910, S. 268. Marie Alice Adrienne Breitner wurde am 21. Mai 1902 in Nancy geboren und starb am 23. Januar 1986 in Bar-le-Duc, vgl. Sterbeakten von Bar-le-Duc (online, angerufen am 17. Juni 2024).
[9] Susanne Wosnitzka: Emilie Goldberger – eine wiederaufgefundene jüdische Clara-Schumann-Schülerin, in: Sabine Meine/Kai Hinrich Müller (Hg.): It’s a Man’s World? Künstlerinnen in Europas Musik-Metropolen des frühen 20. Jahrhunderts. Würzburg (Königshausen & Neumann) 2024, S. 174/175.
[10] Luise Adolpha Le Beau: Lebenserinnerungen einer Komponistin. Reprint der 1. Auflage von 1910 hgg. von Ulrike Keil anlässlich des 150. Geburtstages der Kompoistin. Gaggenau (Willi Bauer) 1999, ISBN 3-00-004321-7.
[11] Augsburger Neueste Nachrichten, Nr. 82, 8. April 1877, S. 647.
[12] Augsburger Neueste Nachrichten, Nr. 86, 13. April 1877, S. 683.
[13] Lebenserinnerungen, S. 79/80.
[14] Matriken der Israelitischen Kultusgemeinde 1784–1911 (online, abgerufen am 17. Juni 2024).
[15] Siehe Wien Geschichte Wiki (abgerufen am 17. Juni 2024).